Ein Tag in Bethlehem ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil er so kontrastreich war. Wir hatten die seltene Möglichkeit, in ein Flüchtlingsviertel zu fahren und dort mit einer jungen, aber schon sehr gezeichneten Frau und ihren Kindern zusammenzutreffen. Wir saßen in ihrer ärmlichen Behausung, neben mir zwei verschüchterte kleine Mädchen, und die junge Frau erzählte uns von ihren schlimmen Erlebnissen – wie sie im Gefängnis misshandelt wurde, so dass sie wohl nie mehr arbeiten gehen kann, wie sie ihren Mann und die Kinder ihren Vater verloren haben, weil er fliehen musste, wie sie ohne Ehemann für immer stigmatisiert ist und wie ihr 14jähriger, offenbar radikalisierter Sohn sich mit Suizidgedanken trägt.
Ich weiß noch, dass ich völlig beklommen das Haus verlassen habe.
Kurz danach stand noch ein weiterer Besuch bei einer großen Familie an, wo uns ein übers ganze Gesicht strahlender 16jähriger Junge namens Hassan erwartete. Er hatte das Glück, bei seiner Großmutter unterzukommen und zusätzlich von SOS umsorgt zu werden, und er machte einen glücklichen, tiefenentspannten Eindruck. Ich war so fasziniert von dem Jungen, wohl auch, weil ich selbst so einen im gleichen Alter zu Hause habe, und musste ihn die ganze Zeit anstarren. Ich fragte ihn, was er denn so in seiner Freizeit nach der Schule täte, und er grinste breit und sagte, er ginge regelmäßig schwimmen, woraufhin ich kurz über Schwimmmöglichkeiten in Bethlehem nachgrübelte. Ich erzählte ihm, dass mein Sohn auch sehr gern und gut schwimmt. Es folgte ein Abschied mittels Umarmung und Ghettofaust – ich musste fast heulen vor Rührung. Das Wesen der kleinen Kerle ist eben überall auf der Welt gleich.
Wir trafen in den Einrichtungen auf so viele Kinder, und die ganze Zeit über trug ich mich mit „Adoptionsgedanken“. Es braucht oft nur ein wenig Aufmerksamkeit, Empathie und Hingabe - sich einfach ein bisschen Zeit nehmen, in die kindliche Welt einzutauchen und sich darauf einzulassen - das kann eine Kinderseele nachhaltig erhellen und irgendwie retten. Ich habe auf dieser Reise erlebt, dass es funktioniert und dass es viele Menschen bei SOS gibt, die sich das zur Lebensaufgabe gemacht haben. Und ich bin sehr froh, dass es Organisationen gibt, die in problematischen Regionen die Rahmenbedingungen dafür schaffen.